„Wenn wir wirklich viel mehr Verkehr auf die Bahn verlegen wollen, bräuchten wir neben einer Entflechtung von Güter und Personenverkehr eigentlich einen kompletten zusätzlichen Neubau der derzeit bestehenden Hauptabfuhrstrecken.“
„Veraltete Infrastruktur, Verspätungen, wenig Komfort.“ Diese und ähnliche Aussagen sind oft zu hören, wenn über „Die Bahn“ gesprochen wird.
Dennoch waren die Züge des Nah- und Fernverkehrs vor Corona sehr oft bis an die Kapazitätsgrenze ausgelastet, teilweise sogar überlastet. Die Situation entwickelt sich gerade wieder dorthin. Auf den Hauptabfuhrstrecken und in den Ballungsräumen sind die Züge fast ganztägig gut bis sehr gut gefüllt. Es muss also für Menschen positive Argumente geben, die Bahn zu nutzen.
Ein wesentliches Kriterium zur Entscheidung für die Bahnfahrt ist sicherlich die Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit einer kompletten Fahrt von der Quelle bis zum Ziel. Teilweise funktionieren Bahnfahrten ganz hervorragend. Ich habe selbst Reisen, ca. 600 km Inland und 200 km Ausland mit fünfmaligem Umstieg (jeweils unter 10 Minuten), problemlos absolviert. Allerdings habe ich auch schon mehrfach bis zu zwei Stunden gebraucht, um im Nahverkehrszug ohne Umstieg zum fahrplanmäßig 30 Minuten entfernten Hauptbahnhof nach Köln zu kommen. Ein gravierendes Problem ist hierbei die Streckenauslastung und Trassenführung. Zu oft fahren in Deutschland S-Bahnen, Nahverkehrs-, Fernverkehrs- und Güterzüge über dieselben Gleise. Optimal wäre es, wenn die drei letztgenannten auf den Hauptabfuhrstrecken jeweils zwei eigene Gleise hätten und in den Ballungszentren jeweils noch einmal zwei Gleise für die S-Bahn dazu kämen. Kreuzungen müssten grundsätzlich höhenfrei realisiert werden. Dieser „Traumzustand“ würde aber sehr viel Fläche, immense Investitionen und lange Planungs- und Bauzeiten erfordern. Neben anderen Hemmnissen ist es also weder finanziell noch zeitlich möglich, die Bahnverkehre kurzfristig komplett zu entflechten. Ohne diese Entflechtung zumindest auf den wichtigen Strecken und in den Ballungszentren werden aber die vorhandenen Störungen und Verspätungen kaum abnehmen. Wenn nun auf dem Bestandsnetz, an sich lobenswert, die Zugfrequenzen erhöht werden sollen (teilweise sogar verdoppelt), dann kann das nur funktionieren, wenn zumindest die Infrastruktur dahingehend massiv optimiert wird. Es muss von der bisherigen Taktik abgewichen werden. Bislang wird ab und an eine Neubaustrecke gebaut und an einzelnen Knoten optimierend gearbeitet.
Eine wirkliche Abhilfe kann nur ein neu aufgestelltes Gesamtkonzept aus verschiedenen Maßnahmen mit sehr viel Mut und viel Geld für die Umsetzung bringen. Diskussionen darüber, ob abschnittweise ein drittes Gleis an eine Hauptabfuhrstrecke zur Kapazitätserhöhung gebaut wird, darf es nicht mehr geben. Eine solche Maßnahme kann an einer Nebenstrecke hilfreich sein. An einer Hauptabfuhrstrecke ist es der Tropfen auf den heißen Stein. Hier muss viel mutiger gehandelt werden.
Zwei zusätzliche Gleise zur Verkehrsentflechtung an der kompletten Strecke sind notwendig, aber noch nicht das Ende des Bedarfs. In Verbindung mit solchen Maßnahmen muss auch die Einführung in die Ballungszentren mittels Überwurfbauwerke und möglichst eigener Infrastrukturen in den Bahnhöfen in die Maßnahmen mit einbezogen werden.
Höhenfreie Ausfädelungen zur dauerhaften Umgehung kleiner Bahnhöfe sind hierbei mit zu berücksichtigen. Auch mittlere Großstädte könnten zumindest von Teilen der Züge umfahren werden. So kann es möglich werden, mit hohen Geschwindigkeiten über Entfernungen von 400 bis 600 km ohne Halt zu fahren und dann eine absolute Konkurrenz zum Flugzeug zu werden. Für Güterzüge ist entsprechend den dortigen Anforderungen analog zu denken.